Schweden:Freispruch für die Botschafterin

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Schweden diskutiert über die Versuche chinesischer Einflussnahme. Im Zentrum steht eine Diplomatin, die in Stockholm ein dubioses Treffen mit chinesischen Geschäftsleuten organisiert hatte.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Eine schwedische Diplomatin vor Gericht im eigenen Land wegen eines Verbrechens gegen die nationale Sicherheit - das hatte es in Schweden zuletzt vor mehr als 200 Jahren gegeben. Und über dem Prozess schwebte der Schatten Chinas. Entsprechend viel Aufmerksamkeit bekam das Verfahren gegen die ehemalige Botschafterin Schwedens in China, Anna Lindstedt. Schwedens Öffentlichkeit diskutierte parallel zu dem Fall die Mechanismen des chinesischen Systems und die Versuche chinesischer Einflussnahme in Europa. Am Freitag nun wurde Anna Lindstedt von einem Gericht in Stockholm freigesprochen. Der Vorwurf lautete auf "eigenmächtige Verhandlungen mit einer fremden Macht". Der Urteilsspruch nun sagt: nicht schuldig.

Der Prozess war ein weiteres Kapitel in der Saga um den von China 2015 aus Thailand entführten Buchhändler Gui Minhai. Gui Minhai ist schwedischer Staatsbürger, leitete aber bis zu seinem Verschwinden einen Verlag in Hongkong, in dem chinakritische Bücher erschienen. Der Fall belastet bis heute die schwedisch-chinesischen Beziehungen. Gui machte erstmals Schlagzeilen, als er im Oktober 2015 aus seinem Feriendomizil im thailändischen Pattaya verschwand, und kurze Zeit später in einem chinesischen Gefängnis wieder auftauchte. Später wurde Gui in eine Art überwachten Hausarrest in China entlassen - nur um am 20. Januar 2018 ein zweites Mal gekidnappt zu werden. Chinesische Agenten stürmten einen Zug, in dem Gui saß, begleitet von zwei schwedischen Diplomaten. Die Agenten schnappten sich Gui und trugen ihn vor den Augen der Schweden davon in erneute Gefangenschaft - ein Affront, der unter Pekings europäischen Diplomaten großen Frust auslöste, zumal Schwedens Außenministerium sich zunächst lange zu keinem lautstarken Protest durchringen wollte.

Zu einem Skandal für Schweden selbst wuchs sich die Geschichte im Januar 2019 aus. Damals bestellte die schwedische Botschafterin in Peking, Anna Lindstedt, Gui Minhais Tochter, die in England studierende Angela Gui, zu einem konspirativen Treffen mit dubiosen chinesischen Geschäftsleuten in ein Hotel in Stockholm. Sie könnten über ihre Kontakte bei der Freilassung ihres Vaters mithelfen, sagten die Geschäftsleute. Dazu müsse Angela Gui aber von nun an in der Öffentlichkeit schweigen und alle Kontakte zu Medien umgehend einstellen. China sei nämlich sehr "zornig" ob ihrer Aktivitäten. "Wenn Du mir nicht vertraust, dann siehst Du deinen Vater nie wieder", habe einer der Chinesen gesagt, erzählte Angela Gui hernach.

Die Botschafterin Anna Lindstedt habe sie ermuntert, auf den Handel mit den Chinesen einzugehen. China, so erinnert sich Angela Gui an die Worte der Botschafterin, werde Schweden nämlich möglicherweise "bestrafen", wenn die negative Presse nicht ein Ende habe. Wenn aber ihr Vater frei sei, dann könne sie, die Botschafterin, ins schwedische Fernsehen gehen und über die "strahlende Zukunft der chinesisch-schwedischen Beziehungen" sprechen. In der schwedischen Öffentlichkeit war die Empörung nach den Enthüllungen groß - zumal das Außenministerium zunächst erklärte, man habe keine Ahnung gehabt von dem Vorgehen der Botschafterin.

Hernach leitete das Außenministerium selbst Ermittlungen ein gegen die Botschafterin, später erhob die Staatsanwaltschaft Anklage. Unter anderem argumentierte sie, Anna Lindstedt hätte wissen müssen, dass die Geschäftsleute im Interesse oder sogar im Auftrag der chinesischen Regierung gehandelt hätten. Das Gericht sah das als nicht erwiesen an. Erstens sei nicht bewiesen, dass die beiden Vertreter einer ausländischen Macht waren, und zudem habe das Handeln Anna Lindstedts stets innerhalb der Befugnisse einer Botschafterin gelegen. "Ich habe mich um die Freilassung eines schwedischen Staatsbürgers bemüht", sagte Lindstedt nach dem Urteil der Zeitung Dagens Nyheter. "Es ist seltsam, wegen solcher Verbrechen gegen Schweden strafrechtlich verfolgt zu werden. In einem Kommentar schrieb die Zeitung, das Urteil lasse viele Fragen offen. Die Aussagen des schwedischen Außenministeriums zu dem Fall seien "nicht glaubwürdig" und Anna Lindstedts Verhalten "zumindest naiv" gewesen.

Gui Minhais Tochter Angela Gui sagte der schwedischen Presse, das Urteil überrasche sie nicht. Tatsache bleibe aber, dass Botschafterin Lindstedt an einem Versuch der Einflussnahme durch China teilgenommen habe, "wo ich bedroht und erpresst werden sollte, nur weil ich meine Meinungsfreiheit in Anspruch genommen habe." Im Übrigen ändere das Ende des Prozesses nichts an der viel wichtigeren Tatsache: "Schweden hat noch immer einen Bürger in einem chinesischen Gefängnis".

Tatsächlich sitzt Gui Minhai nach einem Schauprozess nun eine zehnjährige Haftstrafe an einem geheimen Ort in China ab. Im Februar 2020 erklärten chinesische Behörden, Gui Minhai habe selbst wieder die chinesische Staatsbürgerschaft beantragt - was bedeutet, dass er zuvor die schwedische hätte ablegen müssen, da China keine Doppelstaatsbürgerschaft anerkennt. Beobachter gehen davon aus, dass Gui dies keinesfalls aus freien Stücken getan hat. Die schwedische Regierung erklärte, sie betrachte Gui Minhai weiter als schwedischen Bürger.

© SZ vom 11.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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